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Das Angebot1.2.1.2 Die NachfrageDas Marktgleichgewicht
Auch die Nachfrageseite des Dingermarktes wird vom Verband der Dingerindustrie regelmäßig analysiert. Da der Dingerpreis in der jüngeren Vergangenheit immer um 6,00 € pendelte, geht man davon aus, dass es allenfalls theoretisch von Interesse wäre, zu erfahren, wie groß die Dingernachfrage wäre, wenn man Dinger kostenlos abgeben würde.
Obwohl ein Preis von null praktisch eigentlich irrelevant ist, haben wir einen Namen für diese Menge: Sättigungsmenge . Tatsächlich gibt es auch einige Beispiele für Güter, die kostenlos abgegeben werden. Der Browser, mit dem sie diesen Text gerade lesen (oder ausgedruckt haben), ist mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Gut, das sie kostenlos erhalten haben. Hier könnten wir also tatsächlich die Sättigungsmenge beobachten.
Für ebenso unwichtig wird im Verband der Dingerindustrie die Frage erachtet, bei welchem Preis die Dingernachfrage ganz und gar verschwinden würde. Obwohl sich kein Verbandsmitglied je dafür interessieren würde, haben die Mikroökonomen auch für diesen Preis einen Namen erdacht: Prohibitivpreis .
Jeder einzelne Konsument besitzt für Dinger so etwas wie einen persönlichen Prohibitivpreis - einen Preis, dem ihm das Produkt nicht mehr wert wäre und er vom Kauf Abstand nehmen würde. Die fachlich korrekte Bezeichnung heißt allerdings Reservationspreis oder Zahlungsbereitschaft. Wenn Sie einen Moment darüber nachdenken, was sie maximal zu zahlen bereit wären für eine Schachtel Zigaretten, für eine Flasche Bier, für ein Brötchen, für eine Schachtel Aspirin, dann denken Sie über ihre persönlichen Reservationspreise für diese Güter nach. Sicher gibt es doch das ein oder andere Gut, das Sie nicht gekauft haben, weil es Ihnen zu teuer war. Bei diesen Gütern lag der Preis über ihrem persönlichen Reservationspreis.
Keine Frage, unterschiedliche Menschen haben unterschiedliche Reservationspreise für gleiche Güter. Sind Sie Nichtraucher, vielleicht sogar militanter Nichtraucher, dann liegt Ihr Reservationspreis für eine Schachtel Zigaretten wahrscheinlich bei null Euro. Mit Bestimmtheit lässt sich das nicht feststellen, denn es wäre ja denkbar, dass ein Nichtraucher u. U. ein Schachtel Zigaretten als Geschenk kauft.
Der Verband der Dingerindustrie interessiert sich naturgemäß für die Reservationspreise für Dinger. Im theoretischen Modell stellt die Frage nach den Reservationspreisen keine Schwierigkeit dar, denn die Annahme vollkommener Information schließt die Kenntnis der Reservationspreise aller Wirtschaftssubjekte ein. Faktisch muss der Verband die Reservationspreise aber irgendwie ermitteln. Dazu bedient er sich in der Praxis statistisch-mathemischer (ökonometrischer) Verfahren. Wir wollen hier der Einfachheit halber annehmen, dass er eine repräsentative Befragung durchführt und die Ergebnisse auf die Gesamtbevölkerung hochrechnet.
Außerdem wollen wir noch davon ausgehen, dass die Befragten ehrliche Antworten geben, wenn der Interviewer fragt:
Preis (Klassenmitte) |
Kaufwillige Kunden (in 1000) |
Kumulierte kaufwillige Kunden (in 1000) |
7,75 |
45 |
45 |
7,25 |
55 |
100 |
6,75 |
21 |
121 |
6,25 |
29 |
150 |
5,75 |
20 |
170 |
5,25 |
31 |
201 |
4,75 |
45 |
246 |
Wie viel wären sie maximal bereit für ein Ding zu zahlen,
zwischen 4,51 und 5,00,
zwischen 5,01 und 5,50,
zwischen 5,51 und 6,00,
zwischen 6,01 und 6,50,
zwischen 6,51 und 7,00,
zwischen 7,01 und 7,50,
mehr als 7,50 €?
Das bereits auf die Gesamtbevölkerung hochgerechnete Befragungsergebnis ist in Tabelle 1 wiedergegeben. 45 tausend Personen wären demnach bereit, für das Produkt mehr als 7,50 € auszugeben. Da für diese höchste Preisgruppe keine Obergrenze angegeben ist, wählt man im Verband (etwas willkürlich) 7,75 € als Klassenmitte.
55 Tausend Kunden können sich vorstellen, das Produkt zu kaufen, wenn es teurer als 7,00 € ist, aber nicht mehr als 7,50 € kostet. Zusammen mit den 45 Tausend Kunden, die sogar mehr als 7,50 € zu zahlen bereit wären, ergäbe sich bei einem Preis von 7,00 € also eine Nachfrage von 100.000 Stück Dabei wird unterstellt, dass jeder Kunde nur ein Ding erwirbt.
Wie die alltägliche Erfahrung erwarten lässt, sehen wir, dass mit sinkendem Dingerpreis die Zahl der kaufwilligen Kunden zunimmt. Würde der Preis in der untersten erfragten Preisklasse liegen, könnte mit einem Absatz von 246 tausend Stück gerechnet werden. Bei noch weiter sinkenden Preisen würden vermutlich noch mehr Kunden kaufen. Das wurde jedoch nicht erfragt.
Die Informationen aus der Tabelle werden in ein Marktdiagramm übertragen:
Wie bei der Angebotsfunktion versuchen wir auch hier, die Nachfrage möglichst gut durch eine lineare Funktion abzubilden. Die fünf mittleren Beobachtungen, die sich um den relevanten Bereich von 6,00 € gruppieren, liegen fast auf einer Geraden. Mit den vorhandenen Informationen ist nicht zu entscheiden, ob man die beiden äußeren Datenpunkte einbeziehen sollte oder nicht. Einerseits würde man Informationen verschenken, wenn man sie nicht einbezieht, andererseits spricht ja auch einiges dafür, dass die Antworten der Befragten um so unzuverlässiger sind, je weiter sie vom aktuellen Dingerpreis von 6,00 € entfernt liegen. Im Verband der Dingerindustrie hat man sich entschieden, eine Gerade als Nachfragefunktion einzuzeichnen, die alle 7 Beobachtungswerte möglichst gut abbildet.*
Die Schnittpunkte dieser Geraden mit Achsen zeigen den Prohibitivpreis und die Sättigungsmenge Besonders für die Sättigungsmenge, die die Achse weit außerhalb des uns interessierenden Bereichs schneidet, gilt, dass sie keine empirisch verwertbare Information liefert. Sie liegt viel zu weit von dem Bereich entfernt, für den aus der Befragung Werte zur Verfügung stehen. Sättigungsmenge und Prohibitivpreis ergeben sich rein rechnerisch zwangsläufig, weil der Einfachheit halber eine lineare Nachfragefunktion unterstellt wird. Von einer inhaltlichen Interpretation sollte man aber absehen. Das wäre ähnlich absurd - und das werden nun nur jene verstehen können, die schon Makro gehrt haben - als würde man den Achsenabschnitt der keynesianischen Konsumfunktion als Existenzminimum interpretieren (s.a. die entsprechenden Ausführungen zur Linearität der Angebotsfunktion).
Die gewonnene Nachfragefunktion "lesen" wir im Marktdiagramm genau wie die Angebotsfunktion, nämlich von der Preis- zur Mengenachse. Für einen Preis von 7,00 € würden wir eine Nachfrage von ca. 100.000 Stück prognostizieren. Die Nachfragefunktion zeigt also an, welche Mengen eines Gutes die Käufer bei alternativen Preisen erwerben möchten.
Die Fläche unter der Nachfragefunktion
Das ist tatsächlich auch der Fall. Um uns über die Bedeutung klar zu werden, betrachten wir die 21 tausend Personen (s. Tabelle), die eine Zahlungsbereitschaft von 6,75 € besitzen. Wir finden sie in der folgenden Abbildung als Breite des blau schattierten Rechtecks wieder. Die Höhe des Rechtecks entspricht offensichtlich der Zahlungsbereitschaft von 6,75 €. Folglich zeigt die Fläche des Rechtecks die Zahlungsbereitschaft aller 21 tausend potenziellen Dingerkäufer (Fläche 21.000 Personen mal 6,75 €/Person = 141.750 €).
Angenommen der aktuelle Dingerpreis läge bei 6,25 €, dann könnten wir auf diese Art und Weise die Zahlungsbereitschaft aller Dingerkäufer ermitteln. Ein Blick in die Tabelle oder die folgende Abbildung zeigt uns, dass 150 tausend Personen das Produkt zu diesem Preis kaufen wollten. Ihrer Zahlungsbereitschaft entspräche der nun blau und grün schattierten Fläche. Anhand der Tabelleneinträge würden wir 1,0705 Mio. € berechnen (Summe der vier dargestellten Flächen).
Die 150 tausend Käufer würden für das Produkt aber weniger ausgeben als sie insgesamt zu zahlen bereit wären. Wenn 150 Tausend Dinger zu einem Stückpreis von 6,25 € verkauft werden, beträgt der Umsatz 937.500 €. Die Zahlungsbereitschaft aller Käufer liegt in unserem Beispiel also um 137.000 € über ihrer tatsächlichen Ausgabe. Das ist ganz natürlich. Schließlich kauft man sich nur dann ein Produkt, wenn man ihm wenigstens den Wert beimisst, den man dafür aufgeben muss. Der Überschuss der Zahlungsbereitschaft über die tatsächliche Ausgabe wird Konsumentenrente genannt. Wir kommen später ausführlich darauf zurück.
Mit einer analogen Überlegung, wie wir sie bei der Fläche unter der Angebotskurve angestellt haben, lässt sich die Fläche unter der Nachfragefunktion als Zahlungsbereitschaft der Konsumenten interpretieren. Die gesamte grün schattierte Fläche entspricht der Zahlungsbereitschaft der Konsumenten, die bei 6,25 € kaufwillig sind.
Die grüne Fläche unterhalb der roten Gerade entspricht dem Umsatz. Die Konsumentenrente (rot schraffiert), die im Zahlenbeispiel 137.000 € beträgt, wird von der Nachfragefunktion und der roten Gerade eingeschlossen.
Nun ließe sich einwenden, dass wir zur Bestimmung der Konsumentenrente den Prohibitivpreis heranziehen. Über den Prohibitivpreis besitzen wir aber keine verlässliche Information. Vielleicht sieht die wahre Nachfragefunktion nahe der Ordinate ganz anders aus als unsere lineare Schätzung, für die wir in diesem Bereich keine Stützpunkte haben. Ein denkbarer Verlauf ist in der folgenden Abbildung wiedergegeben. Machen wir da nicht einen großen Fehler, wenn wir die Konsumentenrente mit der linearen Nachfragefunktion bestimmen?
Ja, das kann durchaus sein. Der uns unbekannte Bereich kann dazu führen, dass die wahre Konsumentenrente stark von unserer Schätzung auf Basis der linearen Funktion abweicht. Trotzdem können wir das Konzept sinnvoll einsetzen. Wie wir später sehen werden, ist der absolute Betrag der Konsumentenrente vergleichsweise uninteressant. Viel wichtiger sind Veränderungen der Konsumentenrente.
Wenn wir uns z. B. dafür interessieren, wie sich die Konsumentenrente verändert, wenn der Produktpreis von 7,00 auf 6,50 € sinkt, dann können wir die Veränderung (s. blau schattierten Differenzbereich) angeben, ohne dass wir Informationen über den unbekannten Bereich benötigen. Zunächst bestimmen wir auf Grundlage unserer lineare Nachfragefunktion die Konsumentenrente bei einem Preis von 7,00 €. Aufgrund des unbekannten rot schattierten Bereiches machen wir dabei einen Fehler. Anschließend bestimmen wir die Konsumentenrente bei einem Preis von 6,50 €. Bei dieser Berechnung machen wir den gleichen Fehler. Wenn wir nun die Differenz beider Konsumentenrenten berechnen, fällt der unbekannte Fehler durch die Differenzenbildung genau heraus. Um die Veränderung der Konsumentenrente zu bestimmen, müssen wir den Fehler also weder kennen, noch kommt es darauf an, wie groß der Fehler ist. Von Bedeutung ist allein, dass wir die Nachfragefunktion in dem uns interessierenden Preisbereich mit einer Genauigkeit ermittelt haben, die unseren Ansprüchen genügt.